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#BNWPurpose: "Wir bezeichnen uns gerne als Weltenwandler:innen, denn wir versuchen soziale Themen mit unternehmerischen Mitteln umzusetzen."

In der Serie zum Purpose- und gemeinwohlorientierten Wirtschaften stellt der Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft Unternehmen vor, die sich gegen ein rein gewinnmaximierendes Modell entschieden haben. Die Blogserie „Purpose Economy“ soll praktische Denkansätze zu den Themen Gemeinwohlökonomie, Postwachstum & Suffizienz liefern.

Purpose BNWPurpose Interview

Das Interview wurde mit Constanze Klotz, Gründerin von Bridge&Tunnel, geführt.

Bitte beschreibt kurz euer Unternehmen. Was macht Bridge & Tunnel aus?

Bridge & Tunnel steht für einen ganzheitlichen nachhaltigen Ansatz. Dabei dreht sich bei uns alles um zweite Chancen. Wir haben vor sechs Jahren eine eigene Produktion in Hamburg Wilhelmsburg aufgebaut  – eine Manufaktur, die ausschließlich upcycled. Alle Textilien die bei uns landen, hatten schon mal ein Leben und erhalten bei uns mit neuen Designs eine zweite Chance. Das alles geht nur mit unserem eigenen Produktionsteam. Das besteht aus Männern und Frauen, die aus verschiedenen Gründen durch gesellschaftliche Handicaps auf dem ersten Arbeitsmarkt keinen Job finden, aber fantastisch nähen können. Auch sie erhalten bei uns eine zweite Chance. So verhelfen wir hoffnungsvollen Talenten aus aller Welt zu einem erfüllenden Job mit Anerkennung und vermeintlichen Resttextilien zu einem neuen Leben in Style.

Ihr verbindet die Themen Fair Fashion und Inklusion/Integration. Was war eure Motivation, Bridge & Tunnel als Social Business zu gründen? Gab es dazu ein konkretes Ereignis?

Es gab kein konkretes Ereignis, aber dafür so etwas wie einen kleinen Urknall. Bevor wir das Label gegründet haben, haben meine Partnerin Lotte und ich gemeinsam einen Textilen Coworking Space in Hamburg Wilhelmsburg geführt. Dort hat sich immer mittwochs vormittags ein deutsch-türkischer Nähclub zum Nähen getroffen. Wir standen jedes Mal fassungslos daneben, wie fantastisch die Frauen nähen konnten. Gleichzeitig war uns klar, dass sie nur am Mittwochvormittag zum Nähclub kommen konnten, weil sie keiner geregelten Arbeit nachgehen. Das hat uns gleichzeitig betroffen und nachdenklich gemacht. Sehr viele talentierte Menschen rutschen durch das Arbeitssystem, weil sie keine verbrieften Qualifikationen vorweisen können. Daraus entstand die Idee ein Label zu gründen, das diese beiden Aspekte vereint: Einerseits möchten wir Menschen in ihren Talenten professionalisieren und gleichzeitig auf das Thema mangelnde Wertschätzung von Textilarbeiter:innen, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit, aufmerksam machen. Denn Fakt ist: Textile Arbeit wird oft nicht gesehen. Entsprechend können Leute es oft nur schwer nachvollziehen, warum ein T-Shirt nicht 5€ kosten kann.

Habt ihr als Social Business besondere Herausforderungen?

Als Social Business lebt man sozusagen in einer dauerhaften Herausforderung. Wir bezeichnen uns auch gerne als Weltenwandler:innen, denn wir versuchen soziale Themen mit unternehmerischen Mitteln umzusetzen. Das ist das Ziel von Social Businesses. Wir glauben, dass das sehr zukunftsträchtig ist und eine tolle Kombination von zwei sehr wichtigen Teilen unserer Gesellschaft. Aber es ist auch ein sehr ungelerntes Tätigkeitsfeld. Für viele Wirtschaftsakteur:innen sind wir zu „sozial“ und für viele soziale Akteur:innen sind wir vielleicht zu wirtschaftlich. Dieses Leben zwischen den Welten ist sehr herausfordernd. Es macht aber auch wahnsinnig Spaß, weil man dadurch immer wieder sich selbst und auch viele Themen, die vermeintlich vorgegeben scheinen, herausfordert.

Die Kleidungsindustrie ist geprägt durch Überproduktion und Fast Fashion. Ihr produziert eure Mode unter anderem aus Kleidungsresten, die während der Produktion oder nach dem Tragen entstehen. Welches übergeordnete Ziel verfolgt ihr damit?

Ja es gibt tatsächlich viel zu viel von allem auf dieser Welt. Wir fertigen bewusst nur aus bestehenden Textilressourcen. Wir haben momentan die Problematik, dass Fast Fashion nicht nur in der Quantität zu viel ist, sondern auch viel zu kurz im Umlauf bleibt. Indem wir vermeintlichen Resten wieder zu einem neuen Leben verhelfen, zeigen wir, dass wir anders über textile Ressourcen nachdenken müssen. Wenn es uns gelingt auch die Qualität von textilen Kleidungsstücken anders zu denken, dann haben sie die Chance länger im Kreislauf zu bleiben. Das Weiterdenken von Ressourcen ist ein Ansatz um Überproduktion zu vermeiden, aber natürlich ist er nicht ausreichend.

Gibt es Schwierigkeiten, die euch mit diesem Geschäftsmodell begegnen?

Nein, Schwierigkeiten begegnen uns mit diesem Geschäftsmodell tatsächlich nicht. Ganz im Gegenteil: Viele Menschen inspiriert und begeistert, dass man auch anders über Textilien und vor allem Textilressourcen denken kann. Ich glaube uns inspiriert auch, dass wir anderen Menschen zeigen, dass erst dann Dinge zu Müll werden, wenn wir sie auch als solchen betrachten.

Wie kann ein Ende der Überproduktion und Fast Fashion erreicht werden? Welche Hebel müssen in Bewegung gesetzt werden?

Um Überproduktion einzuschränken und Fast Fashion zu verlangsamen, braucht es sehr viele Hebel. Upcycling ist nur einer davon. Es braucht zuallererst ein großes Umdenken, sowohl bei den Akteur:innen, die Mode herstellen, aber auch bei den Konsument:innen, die sie kaufen. Klar ist, dass wir von allem viel zu viel besitzen - „Weniger ist mehr“ ist hier das Credo. Damit einher geht aber auch eine andere Qualität von Kleidung, wie sie es früher einmal gab. Diese Qualität kann nur hergestellt werden, wenn die Wertschätzung für textile Produkte steigt. Damit sind vor allem Kosten für das Material und natürlich die Arbeit der Textilarbeiter:innen gemeint. Das alles ist schon eine sehr große Gemengelage. Ich glaube sie wird nicht durch Selbstverpflichtungen von großen Unternehmen zu erfüllen sein. Denn ein Großteil der Industrie ist profitbasiert. Das Thema Social Business wächst in der Mode, aber es nimmt noch einen sehr kleinen einstelligen Prozentteil am Gesamtmarkt ein. Deshalb braucht es unbedingt politische Regulierungen. Die bekannteste ist das Lieferkettengesetz. Es gibt aber auch viele andere Möglichkeiten, wie man die mangelnde Wertschätzung von Textilarbeit politisch einschränken könnte.

In eurem Podcast TALK SLOW sprecht ihr unter Anderem über Kleider-Leasing. Kaufen wir in Zukunft noch Kleidung?

Das Thema Kleidung leihen treibt uns total um. Ich teste seit einer Weile ein Leihunternehmen für Bekleidung und muss sagen, ich finde es großartig. Wenn man - wie ich - keine Mode Minimalistin ist, kann es demotivierend wirken, immer wieder zu hören, dass wir am besten gar nichts mehr kaufen sollten. Mit der Idee, Kleidung zu leihen oder zu leasen kann man beides haben. Man kann sich mit Kleidung ausdrücken und in einer Vielfalt an Kleidung baden, ohne sie zu besitzen. Man teilt sich die Textilien mit verschiedenen Modebegeisterten und verringert dadurch idealerweise Überproduktion, zu hohe Emissionen und vieles mehr. Ich finde das absolut zukunftsfähig und hoffe, dass sehr viele Menschen Gefallen an diesem großartigen Konzept finden werden.

Constanze Klotz ist glückliche Sozialunternehmerin. Gemeinsam mit ihrer Co-Founderin Hanna Charlotte Erhorn hat die promovierte Kulturwissenschaftlerin 2016 das Label Bridge&Tunnel gegründet. Bridge&Tunnel fertigt lokal und fair: inmitten Hamburgs mit gesellschaftlich benachteiligten Menschen sowie mit Geflüchteten, die erst vor kurzer Zeit nach Deutschland gekommen sind. Beide verbindet das enorme handwerkliche Geschick jenseits von Zeugnissen und Diploma. Und die Erkenntnis: Wer arbeitet, lernt Menschen kennen. Und wer arbeitet, fühlt sich gebraucht. Das Design des vielfach ausgezeichneten Labels entsteht aus Denim (post- und preconsumer waste).