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#BNWPurpose: "Bei Entscheidungen gewichten wir ökologische und soziale Aspekte höher als finanzielle"

In der Serie zum Purpose- und gemeinwohlorientierten Wirtschaften stellt der Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft Unternehmen vor, die sich gegen ein rein gewinnmaximierendes Modell entschieden haben. Die Blogserie „Purpose Economy“ soll praktische Denkansätze zu den Themen Gemeinwohlökonomie, Postwachstum & Suffizienz liefern.

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Das Interview wurde mit Florian Gerull, Geschäftsführer Ökofrost GmbH, geführt (Homepage Ökofrost).

Bitte beschreiben Sie kurz Ihr Unternehmen. Was macht Ökofrost?

Florian Gerull: Ökofrost ist Bio-Tiefkühlpionier seit 1996 mit Sitz in Berlin. Wir haben den Markt für Bio-Tiefkühlkost maßgeblich mit aufgebaut und führen inzwischen drei eigene Marken: Biopolar, BioCool und die neue Marke Wildzeit für nachhaltigen Wildfisch. Seit 2011 experimentieren wir mit alternativer Unternehmenskultur und –struktur, insbesondere mit Selbstorganisation, angelehnt an die Holakratie. Ökofrost gehört zu den Gemeinwohl-Ökonomie Pionieren und hat seit 2013 drei auditierte Gemeinwohl-Bilanzen veröffentlicht (die vierte erscheint im März 2022).

Welche Gründe waren ausschlaggebend dafür, dass Sie sich von einer profitorientierten Wirtschaftsform verabschieden möchten bzw. nicht mehr ausschließlich profiorientiert arbeiten möchten? Gab es ein konkretes Ereignis?

FG: Wichtig war, dass Ökofrost sich Anfang der 2010.er Jahre finanziell konsolidiert hatte und erstmals schwarze Zahlen schrieb. Nach der Aufbauphase des Unternehmens, das wir 1996 als Studenten ohne Startkapital übernahmen, wurden jetzt zum ersten Mal Kapazitäten für Gedanken und Ideen jenseits des Kerngeschäftes frei. Im Jahr 2011 kam ich in einer Meditation zu der Erkenntnis, dass ich mein Wirken konsequent der gesunden Entwicklung von Mensch, Wirtschaft und Welt widmen möchte. Und ein rein auf Wachstum und Gewinn ausgerichtetes Unternehmen steht dem entgegen. Deshalb leitete ich bei Ökofrost einen tiefgreifenden Wandel ein, hin zu einem ganzheitlichen, kooperativ und synergetisch handelnden Unternehmen.

Welche war die prägendste Veränderung, die Sie in Ihrem Unternehmen bisher vorgenommen haben?

FG: Das war sicher die Umstellung der Unternehmensorganisation von klassischen Abteilungen hin zur Selbstorganisation. Dazu gehörte vor allem, dass wir gemeinschaftlich für das Unternehmen einen klaren Sinn und Zweck, „Purpose“, formulierten, an dem sich unser Tun ausrichtet. Der Purpose von Ökofrost ist „Gesunde Entwicklung durch ECHTE Lebensmittel“. Und es beinhaltete ein neues Verständnis von Führung, Zusammenarbeit und Entscheidungsfindung. Das heißt flachere Hierarchien, schnellere Entscheidungen und nach dem Motto „dynamische Steuerung“ auch mal Mut zur Lücke: Es muss nicht immer alles von Anfang an perfekt sein. Man kann auch starten, einfach mal loslaufen und etwas ausprobieren, und später auf dem Weg nachjustieren, wenn nötig. Dem ging voraus, dass wir gemeinsam ein Leitbild und ein transparentes Gehaltsmodell für Ökofrost entwickelt haben. Auf die Gemeinwohl-Ökonomie sind wir gestoßen, als wir nach einem zu unserem Leitbild passenden Evaluierungs-Instrument suchten, mit dem wir regelmäßig überprüfen können, wo wir bei der Umsetzung unserer Werte stehen.

Was waren die größten Herausforderungen?

FG: Eine Herausforderung war, dass 49% der Firmen-Anteile bis Ende 2016 bei einem externen Investor lagen. Die klare Ausrichtung auf soziale und integrale Innovation und gesunde Entwicklung führte immer wieder zu Spannungen mit diesem Mitgesellschafter. 2017 habe ich diese Anteile dann zurück gekauft und bin seitdem Alleineigentümer. Der Grund für diese Entscheidung war vor allem der Wunsch, noch freier in der Unternehmensentwicklung zu sein. Eine weitere Herausforderung ist das in unserer Kultur übliche „mindset“: den gesunden Umgang mit Selbstorganisation und Eigenverantwortung muss jeder erstmal neu erlernen – im ständigen Spannungsfeld zwischen den eigenen Bedürfnissen und der Verantwortung für ein hohes Arbeitsniveau und den eigenen Beitrag im Team. Auch der gelernte, internalisierte Druck aus unserer Leistungsgesellschaft, in der der Selbstwert vorwiegend an der erbrachten Leistung gemessen wird, muss erkannt und überwunden werden. Diese Bewusstseinsbildung ist nicht so einfach. Und man muss die passenden Mitarbeiter:innen dafür finden, die Lust auf ein derartiges Arbeiten haben.

Welche Vorteile denken Sie haben Sie gegenüber “traditionell“ wirtschaftenden Unternehmen? Welche Chancen sehen sie in einer postwachstumsorientierten Wirtschaftsweise?

FG: Bei Entscheidungen gewichten wir ökologische und soziale Aspekte höher als finanzielle. Das führt oft zu etwas höheren Kosten, aber gleichzeitig zu mehr Nachhaltigkeit und Resilienz. Wenn zum Beispiel immer mindestens zwei Mitarbeitende bei einem Thema kompetent sind, ergeben sich etwas höhere Stundenzahlen. Gleichzeitig gibt es aber wesentlich weniger Stress und Probleme, wenn jemand krank oder im Urlaub ist. Auch die ausführliche Nutzung von Teilzeit führt zu etwas höheren Kosten, ermöglicht aber viel mehr Flexibilität, ohne dass immer gleich alle über ihre Belastungsgrenzen gehen müssen. Wir sind denke ich in Zeiten des Fachkräftemangels attraktiv für junge, gut ausgebildete Menschen, die anders arbeiten möchten, als es in traditionellen Unternehmen gängig ist. Stichwort „New Work“. Also haben wir Vorteile bei der Suche nach engagierten Mitarbeiter:innen, die einen Job mit Sinn und mit viel Gestaltungsmöglichkeiten und Flexibilität möchten. Dass wir nicht auf Konkurrenz und Wettbewerb ausgerichtet sind, erlaubt es uns, partnerschaftlich und synergetisch mit unseren Lieferanten und Herstellern zusammen zu arbeiten.

Gab es Widerstände von Mitarbeitenden, Lieferanten, Investoren und Kooperationspartnern? Wie konnten Sie diesen begegnen?

FG: Mit unseren Mitarbeiter:innen haben wir betriebsinterne Workshops, Coachings und Fortbildungen gemacht. Als es dem Unternehmen mal wirtschaftlich nicht so gut ging, haben wir auf Wunsch der Belegschaft den Umstrukturierungsprozess des Unternehmens eine Weile ausgesetzt, bis wir uns wieder konsolidiert hatten. Neue Mitarbeiter:innen wählen wir bewusst so aus, dass sie zu unserer Unternehmenskultur passen. Wir nehmen uns viel Zeit für eine gute Einarbeitung und haben dafür ein Konzept entwickelt. Die Firmengeschichte, das Leitbild und die Vision werden neuen Mitarbeitern persönlich vermittelt, hierfür ist die Rolle „Unternehmenskultur“ zuständig. Unsere Lieferanten schätzen unsere offene, transparente, partnerschaftliche Art der Zusammenarbeit.

Welche konkreten Ziele möchten Sie demnächst noch erreichen?

FG: 

Gesundes Klima: Unser langfristiges Ziel ist es, in selbst gebaute Räumlichkeiten umzuziehen. Nur so können wir unsere Vorstellungen von ökologisch, lebendig, gesund und energieeffizient gestalteten Arbeitsräumen bestmöglich umsetzen.

Ökologischere Verpackungen & Logistik: Mit steigenden Stückzahlen wollen wir uns für ökologischere Verpackungsalternativen einsetzen. Außerdem wollen wir unsere Logistik nachhaltiger gestalten.

Gesundes Wachstum: Insgesamt werden wir uns immer für gesundes Wachstum in der Welt engagieren – vom menschlichen Umgang miteinander bei der Arbeit über die nachhaltige Gestaltung unserer Produkte und den partnerschaftlichen Umgang mit unseren Berührungsgruppen bis hin zu den globalen systemischen Auswirkungen unseres Handelns. „Gesund“ bedeutet dabei für uns: Es sollte möglichst eine Win-Win-Win-Situation für uns, unser Gegenüber und den Planeten bedeuten.

 

Ökofrost-Geschäftsführer Florian Gerull ist Jahrgang 1972, „Ur-Berliner“, verheiratet und Vater dreier erwachsener Söhne. 1996 entschied er mit Anfang zwanzig, sein Studium zu beenden und Ökofrost zu übernehmen. Er fand, dass er als Unternehmer in der Praxis mehr lernen kann als an der Uni. Bio-affin war er ohnehin, da seine Eltern Bio-Ladner in Berlin Spandau waren. Also legte er ohne Eigenkapital, aber mit viel jugendlichem Elan los. Schon immer interessierte Gerull sich parallel zum Bio-Tiefkühl-Kerngeschäft für grundlegende Lebensfragen und war auf der „Suchspur“. Besonders beschäftigt er sich mit der Integralen Theorie von Ken Wilber und mit dem Stufen-Entwicklungsmodell „Spiral Dynamics“. Dazu bietet er mit seiner Ehefrau Katharina Gerull im Rahmen der „SinnBIOse Akademie für Integrales Handeln und sinnvolles Wirtschaften“ Workshops und Weiterbildungen an.